Bericht zur Lesung vom 25.10.2015 in der Galerie im Stift
Im Rahmen der Ausstellung "Sprengstoff"
Man muss schon weit in die Kunstgeschichte zurückgehen, um einen Bildhauer zu finden, der auch Dichter ist. Einer aus diesen Tagen ist Friedhelm Welge, der seit einigen Monaten mit Ausstellung und Lesung durch verschiedene Orte zieht. Ich habe ihn im Museum Bad Hersfeld getroffen. Kein Event, aber ein wirkliches Erlebnis. Im Rahmen seiner Ausstellung Sprengstoff las er dort aus seinem Gedichtband steine-worte-menschenzustände. Sprengstoff, die der Ausstellung den Titel gebende Skulptur aus Marmor zeigt auf einer Seite die Silhouette einer liegenden Figur, auf der anderen Seite architekturale und figurative Felszeichnungen. Man sieht brutale Bohrungen, in die Sprengstoffhülsen gesteckt sind. Skulptur und Text – Anspielung auf die aktuelle Kulturzerstörung im syrischen Palmyra und anderswo.
In dieser Ausstellung stehen nur Skulpturen, zu denen Welge auch lyrische Texte geschrieben hat. Ein Bildhauer legt legt Hammer und Meißel aus der Hand, um zur Feder zu greifen. Und er versteht es, Wirklichkeit in Worte zu meißeln. Welge beginnt seine Lesung mit einem kleinen Auszug Auszug aus seinem Buch Am Nabel der Welt, eine Art kulturphilosophischer Reisebericht von der Osterinsel. Eine Liebeserklärung an die berühmten dort entlang der Küste stehenden, auf Meer blickenden, gigantischen steinernen Moaiköpfe. Und man versteht, was der Autor in seinem letzten Gedicht der Lesung (Er liebt den Stein) als besessenen Bildhauer bezeichnet.
Großer Voltaire, portugiesischer Marmor: Das scharfe Profil des Philosophen ragt aus einem gewichtigen Buch heraus, ein fast strenges Poem, in dem den sechs Strophen die Unverwechselbarkeit voltairescher Züge gelobt wird. Ich preise deine hohe Stirn/ Schild des freien Gedankens/ dahinter ward das Wort geboren/ das dich unsterblich macht// Ich bin nicht Ihrer Meinung, aber ich würde mein Leben geben, dass Sie sie äußern können.
Auf hohem Sockel, eine schmale weibliche Figur, mit Blattgold veredelt. Verweile doch – du bist so schön, wird dem Betrachter in den Mund gelegt und das lyrische Subsekt fragt ihn zum Schluss, welcher Moment seines Lebens ihn verharren ließ.
Big Brother is watching you. Aus rotem Sandstein schlug Welge diese Skulptur mit den Alles im Blick habenden riesigen Augen und dem Ohr an der Wand, mit der uns der Künstler mitten hinein in die Gegenwart des gläsernen Menschen katapultiert: Ganz ohne Zwang lässt du ihn Alles wissen/ dein eignes Navi sagt ihm wo du bist/ die mailbox was du denkst und planst/ dein www. Dein sanftes Ruhekissen. Prosaisch und diskret zwischen Zärtlichkeit und Trauer sich bewegend das Gedicht Du hast dich nochmal umgedreht.
Lyrik hat es auf unserem lauttönenden Markt der Literatur nicht leicht. Fast so etwas wie Feindesland. Aber wer bei dieser Lesung mit und von Friedhelm Welge dabei war, der ist ein Lyrikfreund geworden.